Buch über Fanny Viollet, Stickrahmen, Stickgarn, Schere

Sticken ist total unemanzipiert? Zum Weltfrauentag am 8. März 2024 möchte ich über eine Stickkünstlerin schreiben, deren Werk ich genial finde: Fanny Viollet. Sie schafft es immer wieder mit ihrer Textilkunst, die als weiblich gelesenen wird, genau diesen Fakt zu kritisieren und ihn ins Gegenteil zu verkehren. Stickerei wird bei ihr zum Mittel um unter anderem auf emanzipatorische Themen zu verweisen. Sie erklärt textile Praktiken zur Kunst und lässt sich damit einreihen in die Riege von Künstlerinnen wie Sonia Delauney, Natalia Gontcharova oder Annie Albers. 

Die Inhalte dieses Blogartikels

Wer ist Fanny Viollet?

Fanny Viollet ist eine Künstlerin, in derem Ouevre das Sticken mit der Hand eine zentrale Rolle spielt. Sie kommt am 22. Februar 1944 in Angoulême, Frankreich zur Welt. Zwar war bereits ihre Großmutter Stickerin und ihre Mutter Scheiderin, doch Fanny findet erst über Umwege zur Textilkunst. Zunächst studiert sie Mathematik und Physik und arbeitet, nach ihrem Abschluss 1964, für kurze Zeit als Lehrerin. Bald zieht es sie zurück an die Universität in Paris und Dijon, wo sie von 1966 bis 1973 Kunstgeschichte und Archäologie studiert. In den 1970er Jahren verschlägt es sie für vier Jahre nach Mauretanien. Dort lernt sie mit Stoffen zu arbeiten. Davon fasziniert, beginnt sie 1978, zurück in Paris, ein Studium der plastischen Künste. Sie beschäftigt sich zunächst mit Kreuzstichstickerei und reicht 1982 ihre Abschlussarbeit „Des lettres brodées, mémoire de maîtrise en arts plastiques“ ein. Das Besondere daran: Der Text ist nicht gedruckt, sondern komplett von Hand gestickt. Dieses Spielen mit Text, Kunst und Handarbeiten zieht sich wie ein roter Faden durch ihr gesamtes weiteres Kunstschaffen. 

 

Nus rhabillés: Nackte neu bekleidet

Zu Beginn ihrer Karriere als Textilkünstlerin hatte sie es nicht einfach. Das Thema Handarbeit, insbesondere die Kreuzstichstickerei, war in der intellektuellen Pariser Kunstszene Anfang der 1980er Jahre geradezu verpönt und stigmatisiert. Es wurde als weiblich und unemanzipiert gelesen, und damit als das Gegenteil von künstlerischem Schaffen betrachtet. Denn Kunst und Geniekult war seit Jahrhunderten ein fast rein männliche Domäne. Das Spannende ist jedoch, dass Fanny Viollet genau mit dieser als weiblich konnotierten Handarbeit, das System gleichzeitig in Frage stellt und kritisiert. Eine ihrer bekanntesten Arbeiten „Nus rhabillés“ macht dies deutlich.

Seit 1997 bestickt Fanny Viollet Postkarten von bekannten Gemälden, die nackte Personen, überwiegend jedoch Frauen, zeigen (wie beispielsweise „Der Ursprung der Welt von Gustave Courbet 1866). Diese Nackten bekleidet sie mit Stoffen, Spitze, Plüsch und Garnen neu. Nacktheit stellt in unserer heutigen Zeit keine Besonderheit mehr da. Wir sind vor allem von nackten Frauen auf Werbeplakaten und in sämtlichen anderen Medien umgeben. Viollet erhebt nun das Angezogene zum Besonderen. Gleichzeitig eröffnet sie einen Raum für die Frage, warum hauptsächlich Frauen, gemalt von Männern, nackt gezeigt werden. Dies jedoch auf subtilere Weise als es beispielsweise die Guerilla Girls mit ihrem Plakat „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“ tun. Ohne es explizit auszuprechen, übt Viollets mit ihrer Stickerei Kritik an der jahrhundertelangen Geschichtsschreibung von der weiblichen Muse und dem männlichen Genie. Gleichzeitig korrigiert sie sie, indem sie die Frauen neu bekleidet.

 

"Sticken ist Denken mit den Händen"

Immer wieder ist der weibliche Körper in Fanny Viollets Arbeiten zentrales Thema. Beispielsweise lässt sie sich 2011 in der Performance Voyage dans les petits riens komplett mit Klarsichtfolie einwickeln. Im Jahr 2004 bestickt sie ein weißes Nachthemd mit den den Konturen einer Frau bestehend aus dem Text des alttestamentarischen Hohelied Salomons mit rotem Garn. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts mussten Mädchen in der Schule Mustertücher mit verschiedenen Stickstichen anfertigen, um auf ihr Leben als „gute Hausfrau“ vorbereitet zu sein.  Üblicherweise wurde dafür die Farbe Rot verwendet. Der Kontext dahinter schwingt in Viollets Arbeit mit. Das Kunstwerk trägt den Titel „La Belle“, also die Schöne. Damit stellt sie gleichzeitig die negativen Seiten von Schönheitswahn und -idealen in den Raum. Mit ihrer Stickerei stellt sie diese in Frage. Sticken wird bei ihr zum Medium gesellschaftlicher Kritik und Reflektion. Das wird klar in ihrer Aussage: „Sticken ist Denken mit den Händen, um etwas mehr als nur zu Lesen zu geben“. 

Gib deiner Stickerei Bedeutung!

Stickerei kann also so viel mehr sein, als bloß hübsche Motive. Ist das nicht genial? Wie auch du deinen Stickereien mehr Bedeutung verleihen kannst, siehst du täglich in einem Live auf dem Instagram Account der SchöneDingeMacherei. Zwar geht es nicht jeden Tag um tiefgründige Gesellschaftskritik wie bei Fanny Viollet, doch wir verknüpfen einzelne Stickstiche und Motive mit unserem Leben und geben ihnen damit Erinnerungswert. Klick doch mal rein, ich freue mich auf dich! 

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel, den ich 2021 für das Allgemeine Künstler Lexikon verfasst habe, sowie auf dem Buch : Ayrole Sandrine / Decharme, Bruno / Dumont, Fabienne / Lascault, Gilbert, Fanny Viollet. Une Histoire de Femme et de Fil, Brüssel 2019. Da ich keine Bildrechte inne habe, darf ich hier leider keine Abbildungen zeigen. Eine Bildrecherche im Internet nach Fanny Viollets Arbeiten lohnt sich aber auf jedem Fall!

3 Kommentare zu „Zum Weltfrauentag! Mit den Mitteln der Frauen: Die Stickkünstlerin Fanny Viollet“

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